... Anmerkungen zu einigen ausgewählten Arbeiten von Christoph Beer
Bei aller Liebe zur Vieldeutigkeit und Ambiguität geht Christoph Beer durchaus das Wagnis
ein, seine Bilder hinein zu stellen in lange Traditionslinien abendländischer Kunst - auch der
Ikonographie - insbesondere der christlichen.
Als lichthaft weiße Gestalt mit Dornenkrone taucht zum Beispiel Jesus Christus auf -
im "Leuchten" von 2011 -
Christus, der abendländische Garant von spiritueller Befreiung und Erlösung schlechthin -
der Prototyp des metaphysischen Helden und Freiheitskämpfers im Sinne einer inneren
Freiheit von jedweder Bindung durch Selbstanklage und Schuld - begleitet von einem Hasen,
der seinerseits das Auftreten des Christus vom Pathos befreit und mit seiner freundlichen
Ironie den Verdacht aufkommen lässt, es handele sich um ein alter ego des Künstlers.
Dann der Gegenspieler des Christus - in "Wand" von 2010 -
als dämonisch verfestigter Dunkelmann unter leuchtender Laterne im urbanen Ambiente
einer engen Gasse- er leuchtet nicht von innen, sondern braucht über sich das materielle
Licht - doch ist da diese offene Stirn und das intensive Schauen, das den Betrachter beinahe
magisch berührt und erschaudern lässt - und auch die Wand mit der angedeuteten Plakat-
Stelle beginnt, aus ihren Farbflecken hervor zu glotzen, wenn sie nur lange genug fokussiert
wird.
Eine weitere Christusgestalt begegnet in dem Bild mit der Mickey-Mouse mit dem Titel
"Am Bug" von 2010 -
Da ist also ein Schiff oder eine Reeling, und einer von beiden - die Maus im Kimono oder
der weiß leuchtende Mann, der den Arm hebt und winkt - begibt sich wohl auf eine Reise -
und das Winken wird wohl Abschied-Nehmen meinen.
Doch keineswegs, so profan geht es dort nicht zu: genauer betrachtet nämlich zeigt die Hand
des Mannes einen traditionell christlichen Segens-Gestus - und Jesus, der Christus, vermag
bekanntlich sowieso über das Wasser zu schreiten. So kann von Abschied keine Rede sein -
von Segnung vielmehr und vielleicht von Begleitung und auf jeden Fall erneut von einem
intensiven Blickkontakt zwischen den beiden Protagonisten.
Die Frage nach dem Blick - wer schaut wen an? - hat in der europäischen Kunstgeschichte ja
eine reichhaltige Tradition - erinnert sei an "Las Meninas" von Diego Velaszques aus dem
Jahre 1656 - und auf beinah analoge Weise inszeniert Christoph Beer diese Frage nach dem
Schauen auf seiner Arbeit mit dem Titel "Venustreppe" von 2010.
Was man nicht sehen kann: unter dem gegenwärtigen Bild befindet sich ein anderes: eine
Kopie des berühmten Renaissancegemäldes "Die Geburt der Venus" von Sandro Botticelli
von 1485/86, und zwar in zwei Versionen -
einmal als Gesamtbild im Querformat, und darüber im Hochformat als Ausschnitt nur die
Venus und der blasende Windgott Zephyr - aus dem im gegenwärtigen Zustand nun der
nackte Bierdosengreifer/Shampoogreifer geworden ist mit Augen verdeckender Haartolle
und wo die Venus sich zurückgezogen hat hinter die Mauer, die allerdings, mit einem Fenster
durchbrochen, ihr den Blick nach vorne nicht verwehrt - Augen und somit die Werkzeuge
des Sehens erscheinen allerdings nur an einer einzigen Stelle: nahe dem Kopf im Fenster,
jedoch eingefügt in ein gesondertes Feld, das dem Rückspiegel eines Autos gleicht, und
wenn es denn ein Spiegel wäre, wen reflektierte dann das Spiegelbild? Am ehesten wohl die,
die als Betrachter vor dem Bilde stehen.
Auf Medienkultur und buddhistische Ikonographie zugleich bezieht sich
der "Ballon" von 2011,
wo ein rötlicher Ballon überlagert ist von einer Folge von Täfelchen,
in denen Buddha-Gesichter erscheinen, die heraus schauen aus dem Bild -
wobei man an Filmstreifen-Bilderfolgen denken kann -
und wo gleich im Bild ein Gegenprinzip sich findet, ein Grusel als humorvolle Form des
Grauens, wenn in dem unteren, türkis-grünen Farbball aus dem Haarschopf einer möglichen
Person ein Dämon heraus starrt, wenn man ihn dort sehen will - denn natürlich lässt uns der
Künstler auch die Freiheit, ihn gar nicht zu bemerken.
Eine weitere Arbeit von 2010/2011, die auf buddhistische Ikonographie anspielt, zeigt den
meditierenden Gautama und trägt den Titel "Bär".
Hier agiert mit dem Teddy vielleicht wieder eine Art alter ego des Künstlers im Bild. Der
Bär, der ziemlich frech und respektlos Richtung Buddha boxt, schwebt über einem rot
gefassten, streifen-artigen Bildabschnitt, in dem sich seine Gestalt widerspiegelt wie in einer
Flüssigkeit - Blut vielleicht, oder eine Art von Ursuppe - doch erhebt sich dann die Frage:
warum spiegelt sich in dieser gleichen Flüssigkeit der Buddha nicht? Ist er bereits so
immateriell und erleuchtet, dass die spiegelnde Oberfläche sein Bild nicht reflektiert?
Interessanterweise findet sich im Rot an der Stelle des verlorenen Spiegelbildes eine
Unregelmäßigkeit, die wie eine Art versunkener Schatz erscheint - und so ergibt sich eine
Dynamik über vier Stationen vom Teddy über sein Spiegelbild zur Leerstelle der
Versenkung/des Versunkenen und schließlich hoch zur Buddhaschaft -
Und wenn sich der Betrachter jetzt noch fragt, woher es kommt, dass dieser freche Teddy
schwebt, dann fällt ihm schließlich doch noch diese Hand auf, die von weitem wie ein
umgehängtes Mäntelchen aussieht und die den Teddy in den Fingern trägt -
und wem anders als dem Buddha selber mag die Hand gehören, die den Teddy exponiert und
damit auch den Kreislauf der Spiegelungen in stiller Bewegung hält?
Fazit
Bei der Betrachtung der obigen Arbeiten wurde vor allem auf das Erstaunliche in der Malerei
von Christoph Beer Wert gelegt. Denn hinter all den inszenierten Ungewissheiten und
vieldeutigen Erzählungen vibriert spürbar die Frage des Künstlers nach der Wahrheit, ganz
generell. Und wenn bei der Suche nach Antworten diese Bilder sich zeigen, dann mögen
Bilder und Künstler uns dazu einladen, im Angesicht der Tiefe der Fragen eine Art von
humorvoller Offenheit und das Ausbleiben von Eindeutigkeit auf Dauer wohl zu ertragen.
Oder einfach zu staunen...
Christoph Poche
Das Fragen weiter tragen -
Ein Blick auf die Arbeiten von Christoph Beer aus den Jahren 2010 und 2011